DIE STÄDTEBAULICHE DIMENSION DES POSTFOSSILEN SCHWEDT/ODER
(schwedt.eu) Architekturstudierende des Lehrstuhls für Stadtplanung und Entwerfen der Universität Stuttgart und des Instituts für angewandte Forschung – Urbane Zukunft der Fachhochschule Potsdam präsentieren vom 14. Juni bis 18. Juni im Foyer des Rathauses ihre Zukunftsvisionen für die Stadt Schwedt/Oder.
Die Finissage findet am Montag, dem 17. Juni 2024, um 17 Uhr, im Rathausfoyer statt – eine gute Gelegenheit, mit den angehenden Architekten und Stadtplanern ins Gespräch zu kommen.
Transformationszeitalter
Seit den 1960er-Jahren existiert die Forderung nach der Großen Transformation, damit wir Menschen im Einklang mit unserer Umwelt leben können. Die Erklärung des Club of Rome ist immer noch Teil des aktuellen Diskurses und die Menschheit wartet schon länger auf den von M. King Hubbert angekündigten Peak Oil, der das Ende der Erdölförderung markiert. Architektur war seit dem Beginn dieser Entwicklung ein wichtiger Teil dieses Diskurses. Insbesondere in den USA – als Biotecture-Bewegung bekannt – verfolgten Wissenschaftler wie Buckminster Fuller das Ziel, menschliche Habitate energieeffizient und ressourcenschonend zu entwerfen.
Währenddessen setzen die meisten Volkswirtschaften weltweit weiterhin auf das Schwarze Gold. Manche Ökonomen stellen die These auf, dass der aktuelle globale Kapitalismus ohne Erdöl nicht funktioniere. Bestimmte Bereiche unserer Volkswirtschaft sind sozialräumlich scheinbar untrennbar mit dem Rohstoff Erdöl vernetzt. Dabei geht es nicht nur um Kraftstoffe für motorisierte Fahrzeuge, sondern auch um Kosmetikprodukte, Baustoffe wie Bitumen für den Straßenbau und auch hochwertige Kraftstoffe für den Flugverkehr. Die Verarbeitung von Erdöl zu diesen Produkten ist hochkomplex. Erdöl besitzt unterschiedliche Qualitäten und die Zusammensetzung kann Aufschluss darüber geben, aus welchem Teil der Welt es stammt. In Raffinerien wird Erdöl erhitzt, um seine einzelnen Bestandteile bei der entsprechenden Temperatur zu destillieren. Aus einem einzigen Rohstoff, dem Erdöl, werden so gleichzeitig mehrere Stoffe gewonnen: Paraffin, Schweröl, Diesel, Kerosin, Leichtbenzine und Flüssiggas. Dieser komplexe Prozess macht es schwierig, aus dem gegenwärtigen System Erdöl auszusteigen. Zumindest in Deutschland ist es langfristig das Ziel, die Nutzung von Erdöl- basierten Kraftstoffen zu verringern, um die von der Bundesregierung gesetzten Klimaziele einzuhalten.
Die Energieform der Zukunft ist der elektrische Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Dieser Zusammenhang beschreibt den grundlegenden Transformationsansatz für Deutschland. Die entsprechenden Technologien zur Elektrifizierung werden unsere Umwelt in Zukunft dementsprechend verändern. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass große lokale Energiekonzentrationen immer zu enormen Umweltveränderungen geführt haben. Das Ruhrgebiet beispielsweise, als große zusammenhängendes urbanisierte Region, konnte sich nur aufgrund seinesr reichhaltigen Energievorkommens flächenmäßig so ungebremst ausdehnen. Diese Prozesse lassen sich auch an anderen Orten weltweit beobachten, wie in arabischen Regionen, wo die hochtechnologisierten Megacities ein Abbild der enormen Energiereserven sind. Die Technologien, um die Energiequellen der Zukunft zu erschließen, liegen schon heute im Norden und Osten Deutschlands. Es ist deswegen davon auszugehen, dass dort in den nächsten Jahren weitreichende räumliche Transformationen auf städtebaulicher und infrastruktureller Ebene vorangetrieben werden.
Kontext
Im Nordosten von Brandenburg, direkt an der Oder gelegen, welche die deutsch-polnische Grenze markiert, offenbart die Stadt Schwedt die Zusammenhänge zwischen Energie und Raum deutlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Schwedt, das bis zu diesem Zeitpunkt für seine Tabakwarenproduktion bekannt war, auf eine für 50.000 Menschen ausgelegte DDR-Planstadt ausgebaut. Der Grund dafür war die Eröffnung der Druschba-Erdölpipeline, die den neugegründeten Bruderstaat mit Erdöl aus Russland versorgen sollte. Industrielle Entwicklung und Wohnraum wurden hier integriert geplant. Der Ausbau der Raffinerie des Petrolchemischen Kombinats verlief parallel zur stadträumlichen Entwicklung in Schwedt. Das Ende der DDR führte zu einer anderen betriebswirtschaftlichen Organisation der Raffinerie, weshalb Schwedt ungefähr die Hälfte seiner Einwohner*innen verlor. Doch auch im wiedervereinigten Deutschland erkannte man schnell die strategisch wichtige Lage der Raffinerie für die neue Bundeshauptstadt Berlin. Insbesondere unter der Regierung Schröder wurde der Stadtumbau in Schwedt durch den Bund massiv gefördert.
Die Kombination aus DDR-Städtebau und entsprechender Förderung in den 1990er Jahren versetzt die Stadt Schwedt heute in die Situation, eine Vorbildrolle für andere Städte in Deutschland einzunehmen. Die aktuell wichtigen Themen der Stadtplanung sind bezahlbarer Wohnraum, Etablierung einer blau-grünen Infrastruktur, Ausbau des Radnetzes sowie Stadt der kurzen Wege und wurden in Schwedt bereits angegangen. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat dazu geführt, dass Schwedt sich auf einen Transformationspfad begeben hat, der die Region langfristig zu einem Zentrum für grünen Wasserstoff und klimaneutrale Kraftstoffe werden lassen könnte. Die Region Uckermark produziert schon heute einen Überschuss an grünem Strom. Fossile Infrastruktursysteme wie die Erdgaspipeline EUGAL, die an Schwedt vorbeiführt, könnten technisch auf Wasserstoff umgerüstet werden. Ein neues Energiesystem trifft hier unmittelbar auf ein bereits existierendes und wird die Stadt und Region in den nächsten Jahrzehnten maßgeblich sozialräumlich verändern.
Die Studierenden der Universität Stuttgart hatten die Möglichkeit im Wintersemester, an drei Orten in der Stadt Ideen für einen Wohnkomplex der Zukunft zu entwerfen. Studierende der Fachhochschule Potsdam erarbeiteten zeitgleich Entwürfe für einen neuen Standort der Innovation am südwestlichen Rand des PCK-Raffineriegeländes. Es galt, bestehende Bauten zu refunktionalisieren und gestalterisch neu zu definieren, Neubauten zu integrieren und den Komplex als einheitliches Ensemble und neuen attraktiven Treffpunkt für Mitarbeitende, Lernende, Start-ups, Wissenschaftler*innen und die Öffentlichkeit innerhalb der Stadtstruktur zu prägen. Die Ausstellung ist eine offene Diskussionsplattform und bietet der Bevölkerung die Möglichkeit, im Austausch mit den Studierenden über eine zukünftige Stadtentwicklung zu diskutieren.
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